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Stürze und dynamische Kräfte

"Sturz ist nicht gleich Sturz" - Sicherheitstechnische Grundlagen

Sturz in ein dynamisches Kletterseil

Gewicht: kg

Fallhöhe: m

Seillänge: m

Sturzfaktor:

Fangstoss max:

Fangstoss mittel:

Fangstoss min:

Max. Fallgeschwindigkeit:

Beispiele:

a) Ein Kletterer (80kg) – TopRope-gesichert – stürzt 8 Meter. Die ausgegebene Seillänge beträgt 24 Meter. Bei dem Sturzfaktor von 0,33 beträgt der Fangstoss ca. 4,4KN – das sind etwa das 5,6-fache seines Körpergewichts.

b) Ein Kletterer (80 kg) stürzt 4 Meter. Die ausgegebene Seillänge beträgt 4 Meter. Bei diesem Sturzfaktor von 1 beträgt der Fangstoss kritische 7 KN – das sind ca. das 7-fache seines Körpergewichts.

c) Szenario wie im Beispiel b), nun aber 40 kg Körpergewicht: Sturzfaktor 1. Der Fangstoss beträgt ca. 4,8 KN. Bezogen auf das Körpergewicht des Kletterers sind das ca. das 12-fache.

Teste mithilfe der obigen Berechnungshilfe selbst: 
Je höher der Sturzfaktor und das Gewicht, desto härter der Fangstoss.

Sturz in ein statisches Kletterseil

Gewicht: kg

Fallhöhe: m

Fangstoss:

g-Wert:

Beispiel:

Ein 80 kg-Kletterer übersteigt die letzte Sicherung um 40 cm und stürzt. Der Fangstoss ist bei statischem Sicherungsseil: 640 kg = 6.3 kN

Warnung

Bei einem Seil ohne Dehnung (wie es in den meisten T5-Szenarien bis auf den Vorstieg am Fels o.ä. vorkommt) wird die kinetische Energie bei einem Sturz ungebremst und abrupt auf den Kletterer (und das Sicherungssystem) übertragen. Schon bei geringer Fallhöhe ist die dabei plötzlich einwirkende Bremskraft (Fangstosskraft) grösser als 6 KN.

Der Fangstoss

Die Kraft, die im Moment der maximalen Seildehnung auftritt, nennt man Fangstoss oder Fangstosskraft. Es ist die maximale Kraft (der «Ruck», die maximale Bremskraft), die auf den Kletterer einwirkt, wenn ein Sturz abgefangen wird. Der menschliche Körper ist in der Lage 12 kN aufzufangen – aber dies schon mit schweren Verletzungen. Die EN-Normen schreiben vor, dass höchstens 6 kN (600 kg oder 0.6 t) Fangstoss zulässig sind. Dieses ist der angenommene Grenzwert, ab dem der menschliche Körper die auf ihn einwirkenden Kräfte nicht mehr unverletzt aufnehmen kann. Natürlich muss auch das Material, jedes Glied in der Sicherungskette, den Fangstoss aushalten, ohne zu brechen.

Im Falle eines Sturzes darf ein Anwender niemals einem Fangstoss über 6 KN ausgesetzt werden!

Der g-Wert

Der g-Wert (Kraft/Gewicht) gibt an, dem Wievielfachen des Körpergewichtes eine bestimmte Kraft entspricht. Da die Belastbarkeit des menschlichen Körpers etwa proportional zu seinem Gewicht ist, ist der «g-Wert» sehr aussagekräftig über die relative Härte des Sturzes. Ein Fangstoss von 9 g heisst: Ein 80 kg schwerer Kletterer fühlt dann 720 kg auf sich lasten.
Bei sehr kurzen Belastungszeiten unter 0,5 Sekunden werden 20 g als die menschliche Belastungsgrenze beim Sturz in aufrechter Körperhaltung angesehen (in waagerechter Körperhaltung – wie beim Hüftgurt möglich – wird die Belastungsgrenze wohl deutlich darunter liegen). Belastungen (auch kurzfristige) ab 10 g sind für den Menschen generell gefährlich.
Beim gleichen Sturz in das Seil bedeutet dieses, dass ein schwerer Kletterer mit wenig «g-Wert» belastet wird als ein leichter Kletterer, obwohl die absoluten Kräfte (Fangstoss) beim Schweren höher sind.

Der Sturzfaktor

Die «Härte des Sturzes» hängt bei dynamischen Seilen nicht von der Fallhöhe ab, sondern vom Sturzfaktor. Damit wird das Verhältnis zwischen der Sturzhöhe und der ausgegebener Seillänge angegeben (Sturzhöhe : Seillänge).
Kletterseile (Bergseile, dynamische Seile) sind wie Fangstossdämpfer. Sie nehmen durch Dehnung Sturzenergie auf, um die Fangstosskräfte gering zu halten. Je weiter ein Seil sich dehnen kann, desto besser kann die abzufangende Fallenergie von dem Seil absorbiert und die Einwirkung auf den Körper des Kletterers reduziert werden.
Da leuchtet es schnell ein, dass es einen Unterschied macht, ob ich 4 Meter stürze und dabei 20 Meter Seil ausgegeben wurde (Sturzfaktor = 4/20, also 0.2), welches meine Fallenergie aufnehmen kann oder ob bei diesem Sturz nur 10 Meter Seil (Sturzfaktor: 0.4) zur Energieaufnahme zur Verfügung stehen. Rein rechnerisch kann der Sturzfaktor maximal 2 betragen, was einer «Vollbremsung» gleicht. Der Faktor 2 ist also der höchstmöglicher Sturzfaktor eines gesicherten Kletterers – der in der Praxis so nie vorkommen darf.

Die auftretende Fangstosskraft ist direkt proportional zum Sturzfaktor. Je höher der Sturzfaktor, desto härter der Fangstoss.

Beispiele verschiedener Sturzfaktoren

sturzfaktor

Fangstosskraft und Sturzfaktor G-Wert und Sturzfaktor
Fangstoss, Sturzfaktor und Körpergewicht

Das Diagramm zeigt die Fangstosskräfte (in Kilonewton) in Abhängigkeit vom Sturzfaktor und dem Körpergewicht. 
Ausgegangen wurde bei unseren Berechnungen vom freien Fall in ein fixiertes Seil (statische Sicherung) mittlerer Härte.

Die obenstehende Abb.1 zeigt deutlich, dass bei höheren Sturzfaktoren der Einfluss des Körpergewichtes auf den Fangstoss zunehmend grösser wird.

In Seilgärten (grüner Bereich) wird der Sturzfaktor 1 (gelber Bereich) niemals erreicht – handelt es sich doch immer um Toprope-Sicherungen, die unterhalb dieses Wertes liegen. In der Praxis sind uns unter extremsten Bedingungen («Todessprung») gemessene Werte bis 4,4KN bekannt.

G-Wert und Sturzfaktor

Die Abbildung 2 verdeutlicht, dass bei Stürzen die relative Belastung (g-Wert=Lastvielfache) bei schwereren Kletterern geringer ist als bei leichteren Körpern.

Bei höheren Sturzfaktoren wird der Einfluss des Körpergewichts auf den g-Wert zunehmend grösser.

Kurzfristige Belastungen (unter 0.5 Sekunden) unter 10g gelten noch als ungefährlich – siehe gelber Bereich.

In Seilgärten (grüner Bereich) werden maximal 6g erreicht – dieses auch nur bei extremsten Sprüngen und für den Bruchteil einer Sekunde.

g-Werte im Vergleich: Kinderschaukel max. 2.5g, Schleudersitz ca. 15-20g, Achterbahn typisch (max.) 4 (6).

Die dynamische Sicherung

Beim Sturz mit dynamischer Sicherung werden die Fangstosskräfte deutlich geringer ausfallen. Die Härte des Sturzes wird hier durch die Bremskraft des Sicherungsgerätes erheblich gemildert. Selbst bei einem Sturz mit Sturzfaktor 2 wird zum Beispiel bei Verwendung einer HMS nur etwa 1/3 (ca. 3,5 KN) der Fangstosskraft auf den Kletterer einwirken, als dieses bei einer statischen Sicherung der Fall wäre.

Typische Bremskraftwerte
  Zug nach unten Zug nach oben
HMS 3.5 KN 2.7 KN
Abseilachter 1.4 KN 2 - 2.5 KN
GriGRi 7 - 9 KN

Der Normsturz

Um die Qualität und Eigenschaften (Festigkeit, Dehnungsverhalten, Sturzzahl...) von Seilen vergleichen zu können, werden Seile dem sogenannten Normsturz unterzogen. Der Normsturz ist ein in EN-892 definierter Sturz, bei dem ein bestimmtes Gewicht (80 kg) aus einer bestimmten Höhe (4.80 m) herabfällt und vom ausgegebenen Seil (2.80m) abgebremst wird. Das fixierte Seil wird dabei in einem Karabiner (30 cm nach der Fixierung) umgelenkt. Es handelt sich also um einen statischen Sturz mit dem Sturzfaktor ca. 1.71.
Hierbei darf ein bestimmter Fangstoss (Einfachseile: 12 KN beim ersten Sturz) sowie eine bestimmte Dehnung (max. 40 %)nicht überschritten werden.

Einfachseile werden beim Normsturz mit einem Gewicht von 80 kg getestet. Sie müssen mindestens 5 Stürze halten. Der maximal zulässige Fangstoss beim ersten Sturz beträgt 12 kN. Die meisten dynamischen Bergseile weisen einen deutlich geringeren Fangstoss als 12 KN auf.

Beispiel: Das technische Merkblatt eines dynamischen Seils enthält folgende Kennzahlen:

  • Sturzzahl: 13 - 15 bedeutet, dass dieses Seil 13–15 Normstürze aushält.
  • Fangstoss: 9,8 KN bedeutet, dass bei diesem Seil im Normsturz ein Fangstoss von 9,8 KN gemessen wird.

Die Fangstossdehnung (beim ersten Normsturz) liegt bei modernen Kletterseilen typischerweise zwischen 28 % und 35 %. Bei einem normalen Sportklettersturz mit einem Sturzfaktor von 0,3 liegt die dynamische Dehnung in der Grössenordnung um 15 %.

Rechenmodelle für die Fangstossberechnung

Die nachfolgend aufgeführten Rechenmodelle sind nur Annäherungen an die Wirklichkeit. Nicht berücksichtigt wurden Luftwiderstand und denkbarer Reibungswiderstand bei Umlenkungen, sowie Absorption durch andere Materialien im Sicherungssystem. 
Ausgegangen wurde vom freien Fall, und zwar in ein fixiertes Seil. (Man spricht hier von einer statischen Sicherung).

Beide Modelle liefern sehr ähnliche Werte.
Der am Anfang dieser Seite aufgezeigte Rechner basiert auf dem ersten Rechenmodell.

1. Rechenmodell mithilfe der Seilfederkonstante
Fmax max. Fangstoss
m Erdschwerebeschleunigung 9,81m/s²
g Gewicht
k Elastizitätskonstante (Federkonstante), ca. 0,00017 - 0,000023 N-1
h/L

Sturzfaktor

2. Rechenmodell basierend auf Seilmodul
Fmax max. Fangstoss
G Gewicht
M Seilmodul - bei Bergseilen zwischen 20 bis 30 KN
f Sturzfaktor
h/L

Sturzfaktor

Fallgeschwindigkeit

Bei der Fallgeschwindigkeit und damit auch bei der Sturzdauer spielt das Gewicht keine Rolle.

  Fallhöhe Sturzdauer Fallgeschwindigkeit
5 m 1.01 Sek. 35.66 km/h
10 m 1.43 Sek. 50.43 km/h
20 m 2.02 Sek. 71.31 km/h
40 m 2.86 Sek. 100.85 km/h
60 m 3.50 Sek. 123.52 km/h
80 m 4.04 Sek. 142.63 km/(h

* Die Luftreibung wurde bei den Berechnungen vernachlässigt